Glosse
Elitäre Universalbürokratie
von Kristina Abels
Wie viel Bürokratie braucht eine Hochschule? Seit
ich studiere, bin ich Teil eines ganz eigenen Systems, des
Universitätswesens: Wildes Zuständigkeitschaos sorgt
für stundenlange Wartezeiten, löst bei
Seminaranmeldungen völliges Chaos aus und schlägt
sich in der gedrückten Stimmung vieler überlasteter
Sekretärinnen nieder.
Eigentlich geht der ganze Stress ja schon vor dem Semester
los: Die Anmeldungen zu den Seminaren stehen drohend bevor. Das
Repertoire an Möglichkeiten, das die Universität
dabei pflegt, ist vielfältig. Regeln sind dabei kaum
erkennbar.
Am Schlimmsten finde ich die Massenanmeldungen, wie sie bei den
Tübinger Germanisten im Grundstudium üblich sind.
Eine geschätzte Menge von 600 pausenlos brabbelnden Erst- und
Zweitsemestern – meist weiblicher Natur – wird
dabei in einen Hörsaal mit halb so vielen Sitzplätzen
bugsiert. Von der Menge fast erdrückt, kämpft im
vorderen Drittel des Raumes ein einsamer Professor um das Wort und um
Struktur.
Es gilt die vorhandenen Seminarplätze möglichst
gerecht zu verteilen. Dabei wird geschubst, gedrängelt und
gestritten. Hin und wieder fließen Tränen, auch wenn
das meist nichts bringt. Wie kann man einen solchen Tumult verhindern?
Das englische Seminar macht´s vor: Hier laufen die
Anmeldungen ganz diskret übers Internet ab, frei nach dem
Motto: Wer zuerst klickt, darf was Neues lernen. Und so funktioniert
das Ganze: Hat man sich auf der Homepage der Universität
erfolgreich bis zu den Anglisten durchgewurstelt, kann man dort den
genauen Termin erfahren, von dem an die Leitungen zur Seminaranmeldung
freigeschaltet sind. Jetzt gilt es, mit heißen Fingern auf
diese Freischaltung zu warten und dann möglichst als
Allererste die Anmeldung abzuschicken.
Natürlich klappt auch dieses Verfahren nicht reibungslos. Denn
schließlich ist es völlig klar, dass die Server
blockieren, wenn hundert Studenten und Studentinnen gleichzeitig
Allererste sein wollen. Also ist auch der virtuelle Kampf um die
Plätze problembehaftet.
Viel lieber sind mir da die Anmeldungen zu Hauptseminaren in
Linguistik. Denn die will sowieso keiner besuchen, und es reicht
völlig, sich kurz vor Beginn des neuen Semesters bei dem
entsprechenden Dozenten einzufinden und seine Teilnahmebereitschaft
kund zu tun. Ganz gut gefallen mir auch noch Seminaranmeldungen, die
man per E-Mail erledigen kann. Das ist zwar nicht transparent, aber
wenigstens persönlich.
Kurzweilig ist es ja, das universitäre Anmeldewesen. Dennoch
wäre es mir am liebsten, wenn die Hochschule ganz diktatorisch
und von oben herab ein einheitliches Verteilverfahren vorgeben
würde. Wie etwa das Campus-System, das uns schon so lange
angekündigt wird. Auf den Servern der Universität
Tübingen ist die neue Technik bereits installiert.
Hätte man mir meine Zugangsdaten bereits zugeschickt und
wäre wegen der großen Bachelor-Umstrukturierung
nicht sowieso alles lahm gelegt, könnte ich mich schon im
Sommersemester zu Seminaren und Klausuren ganz bequem übers
Internet anmelden.
Aber noch ist es nicht so weit. Die Uni lässt sich Zeit mit
dem Verwalten, was auch wieder verständlich ist. Denn was
sollen die vielen Sekretärinnen tun mit den Mengen an
eingesparter Zeit? Mein Tipp: Ein Kaffee zur Entspannung mit
anschließendem Freundlichkeitstraining für den
Umgang mit Studenten.
Denn hier liegt gleich das nächste Problem, an dem sich die
Geister scheiden: Ist Nettsein adäquate Geste oder einfach nur
überflüssig, weil es am Ende doch immer der Student
ist, der im Bürokratiegemenge den Kürzeren zieht? Zu
dieser Frage habe ich eine klare Meinung – ich bin
für eine gewisse Grundfreundlichkeit jedem gegenüber
– und außerdem einiges zu sagen. Ich
gehöre nämlich nicht nur zu den
Bafögbürokratiegebeutelten, sondern organisiere im
Moment auch noch mein Auslandssemester. Ich zähle also zu den
Hochklasseathleten, was den Sprechstundenmarathon angeht.
Und ich weiß, wie man am besten vorgeht: Die Warmlaufrunde
beginnt in der Regel im Internet. Zuständigkeiten, die meist
mindestens wöchentlich wechseln, müssen
herausgefunden und die Ansprechpartner per E-Mail um einen
Gesprächstermin ersucht werden, sofern keine offizielle
Sprechstunde existiert. Selbstverständlich kollidiert der
Zeitplan des Auserwählten mit den eigenen Vorlesungszeiten
– eines der kleineren übel.
Das Warten.
Foto: Sascha Bühler, Pressestelle Universität
Tübingen
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, immer ein gutes
Buch zur Sprechstunde mitzunehmen, um sich die Wartezeit auf dem
Fußboden zugiger Flure zu verkürzen. Denn die kann
durchaus auch mal drei Stunden dauern, auch wenn man nur auf eine
Unterschrift wartet. Es geht immer streng der Reihe nach.
Während ich warte, überlege ich in der Regel, was
noch vor mir liegt: Für die Auslandsbewerbung muss ich eine
Auflistung sämtlicher besuchter Veranstaltungen abgeben, eine
so genannte Scheinauflistung, die mir das Prüfungsamt
unterschreiben muss. Ich brauche ein Gutachten von einem meiner Profs.
Außerdem sollte ich dringend mal klären, warum ich
aus Schottland eine Absage und von meiner Universität eine
Zusage für exakt denselben Studienplatz bekommen habe.
Zu guter Letzt hat das Bafög-Amt mich ganz spontan ins
fünfte Semester hochgestuft, dabei bin ich offiziell erst im
vierten Fachsemester. Zu Beginn meines Studiums habe ich
nämlich ein halbes Jahr lang Germanistik studiert, die Scheine
sind mir bei meinem Fachwechsel aber angerechnet worden. Die
Information scheint nach zwei Jahren nun auch das Bafög-Amt
erreicht zu haben. Für mich bedeutet das, dass ich schnell
noch eine offiziell bestätigte Leistungsbescheinigung abgeben
muss, um zu zeigen, dass ich nicht nur von Sprechstunde zu Sprechstunde
laufe, sondern auch studiere. Warum kann ich eigentlich nicht selbst
einfach alle meine Scheine beim Bafög-Amt vorzeigen?
Mein nächster Gang führt mich also zum
Prüfungsamt. Dort sitzt aber nur eine Sekretärin, die
mir den Stempel verweigert, da die Stempellizenz just auf einen
speziellen Auslandsdozenten übertragen wurde, der zurzeit im
Urlaub ist. Außerdem könne der die Richtigkeit
meiner Scheinauflistung sowieso nur für seinen Fachbereich
bestätigen. Das bedeutet für mich als Studentin
dreier Fächer also dreifaches Gerenne.
Für die Fächer Linguistik und Rhetorik bekomme ich
den Stempel zwar zeitverzögert, aber relativ problemlos. Die
Psychologen stellen sich quer. Zum einen bin ich – mal wieder
– bei der falschen Person gelandet. Die
Zuständigkeit für mein Anliegen ist drei
Türen weitergewandert. Ich wandere hinterher, stelle mich in
die nächste Schlange, um dann von einer sehr schlecht
gelaunten Sekretärin zu hören: Auf ein Formular, das
schon Linguisten und Rhetoriker bekritzelt haben, könne
unmöglich der Leistungsnachweis für mein
Psychologiestudium gesetzt werden. Außerdem würde
mein Anliegen – es geht um einzige Unterschrift –
zu lange dauern, als dass es während der normalen
Sprechstundenzeiten geklärt werden könnte. Ich soll
später wiederkommen und ein neues Formular mitbringen.
So etwas muss man akzeptieren und sollte eventuelle Aggressionen der
Vorzimmerdame gegenüber woanders loswerden. Denn das habe ich
schnell gelernt: Fast jede Sekretärin, beinahe jeder
Uni-Mitarbeiter und natürlich jeder Professor weiß
es immer besser! Ob das etwas damit zu tun hat, dass sie hinter dem
Schreibtisch sitzen und ich davor stehe?
Ich gebe mich also hilfsbereit und organisiere ein neues Formular extra
für die Psychologen. Noch wenige Tage, dann ist
Bewerbungsschluss für meinen Studienplatz im Ausland. Der
Professor, der mir die Unterschrift geben darf – so
heißt es nach meinen zarten Hinweis auf die knapp werdende
Zeit – sei erst ab der nächsten Woche wieder im
Haus. Gut, muss ich also auch schnell noch um
Fristverlängerung bitten.
Immerhin, das Problem mit der Zu- und Absage für meinen
heiß ersehnten Platz an der University of Edinburgh
klärt sich für universitäre
Verhältnisse unglaublich schnell. Nach ungefähr
fünf E-Mails an alle
Möglicherweise-und-eventuell-Zuständigen und einem
Telefonat steht fest: Man hat mich nur verwechselt! Ich darf also in
Schottland studieren, und nach einigem Hin und Her habe ich auf meiner
Scheinauflistung auch alle nötigen Stempel.
Was jetzt noch fehlt, sind die geforderten Leistungsbescheinigungen
fürs Bafög-Amt. Wieder muss ich dreimal laufen, um
mir für die staatliche Finanzspritze die Formulare ausstellen
zu lassen. Das Prozedere ist dem oben beschriebenen sehr
ähnlich. Ich bin geübt und weiß also, was
auf mich zukommt. Ergeben warte ich meinem Schicksal entgegen, freue
mich dabei über Flure mit Teppichboden, weil es dann
wärmer ist am Po und halte am Ende für jedes Fach
einen hochoffiziell bestätigten Leistungsnachweis in den
Händen. Wie ein Heiligtum trage ich die Blätter nach
Hause und schicke sie dem Bafög-Amt zu.
Den Originalantrag habe ich letztes Jahr im September abgegeben. Die
spontan geforderten Leistungsnachweise irgendwann im Oktober. Der
Bescheid und damit das heiß ersehnte Geld folgt –
recht flott für eine Behörde – weitere drei
Monate später. Endlich Ruhe, denke ich, öffne den
Brief und lese… und lese, dass mein Antrag schon Ende
März wieder hinfällig wird – die
Leistungsnachweise würden fehlen.