Aufs Kamel gekommen
von Christine Luz
Ein Schwarzwaldbauer entdeckt sein Herz für Kamele: Der Anfang einer unermüdlichen Suche nach Wegen, wie die Tiere und ihre Milch auch in Deutschland heimisch gemacht werden können.
Foto: Luz
Das weitläufig
eingezäunte Areal unweit
des Dorfes Rotfelden im Schwarzwald könnte an eine Kuhweide
erinnern. Könnte
wohlgemerkt, wären da nicht der orientalisch anmutende Bau der
Ställe mit
Spitzbogen und Zwiebelkuppel und die für eine Kuh doch etwas
groß geratenen
Vierbeiner, die sich auf der Wiese tummeln. Hier, wo es niemand
vermuten würde,
zwischen Tannenwäldern und fernab von jeder Autobahnausfahrt,
erstreckt sich
Europas größte Kamelfarm.
Fütterungszeit auf
dem Kamelhof
Rotfelden. Die Rund 90 Kamele des Hofes sind in großen Boxen
untergebracht und
recken begierig ihre langen Hälse, um an das Futter zu
gelangen. Die
Grundnahrung auf dem Hof besteht neben frischem Gras im Sommer aus
Stroh, Heu
und einer Futtermischung, die auf die Ursprungsländer
ausgerichtet ist. Darin
findet sich unter anderem Senfmehl, Datteln und sogar Knoblauch. Die
Tiere
stehen friedlich nebeneinander und schnappen sich ab und zu mit ihrem
großen
Maul einen Happen Stroh, den sie genüsslich zwischen ihren
Backen hin und her
schieben. Nach der Fütterung dürfen die meisten Tiere
auf die Wiesenanlage. Der
Großteil von ihnen wurde schon auf dem Kamelhof geboren und
kennt ein anderes
Leben gar nicht.
Ursprünglich stammten die
so genannten Altweltkamele –
das einhöckrige
Dromedar und sein zweihöckriger Verwandter
das Trampeltier – vermutlich aus Asien. Inzwischen sind sie
aber als Nutztiere
auf der ganzen Welt beheimatet. Sie dienen dem Menschen als Fleisch-,
Milch-
und Felllieferanten sowie als Last- und Reittiere. Wild lebende Arten
gibt es
dagegen kaum noch.
Kamele im Schwarzwald
Der ehemalige Landwirt Wilhelm Breitling kam 1975 während einer Reise nach Nordafrika erstmals mit Kamelen in Berührung. Auf weiteren Reisen vertiefte sich seine Liebe zu diesen Tieren. Heute gilt der inzwischen 69-Jährige als Pionier und Experte auf dem Gebiet der Kamelhaltung in Europa.
Kamele im Schwarzwald: Eine Idee mit Zukunft? Foto: Luz
Anfangs träumte Breitling
davon,
Touristen mit einer Kamelkarawane durch den Schwarzwald zu
führen. Doch die
Idee erwies sich schon bald als nicht realisierbar. Die ungewohnte
Spreizsitzhaltung beim Reiten eines Kamels würde dem
ungeübten Reiter bald zu
schaffen machen. „Wenn man ein oder zwei Stunden auf einem
Kamel sitzt, hat man
genug für den Tag“, meint Breitling. „Das
Kamel hat mich dann aber richtig
fasziniert, und zwar deshalb, weil das Kamel kein Fluchttier
ist.“ Von Kamelen
geht eine große Ruhe aus. Es lässt sich anders als
unsere heimischen Tiere von
Geräuschen nicht irritieren. Gerät es doch einmal in
Panik, legt es sich
einfach auf den Boden. Breitling sah in dem Kamel eine
Möglichkeit zur Freizeitgestaltung
– einen Gegenpol zu eher aufreibenden Angeboten wie
Erlebnisparks. Daher kaufte
er 1987 die ersten Tiere. Den Hof in der heutigen Form
eröffnete er jedoch erst
im Mai 2002. Seitdem finden jährlich zwischen 60.0000 und
70.000 Besucher den
Weg nach Rotfelden, um sich an den hier so untypischen Tieren zu
erfreuen.
Kamelmilch als
Heilmittel
Ein
ganz neuer Grund für die
Haltung von Kamelen kam erst Anfang der 90er Jahren hinzu. Mehr durch
Zufall
erfuhr Breitling, dass in Kasachstan Kamele wegen ihrer Milch gehalten
werden,
die dort als Arznei bei Magen- und Darmkrankheiten eingesetzt wird.
„Damals hat
man weltweit noch nichts gewusst von der Kamelmilch“, meint
Breitling. Nach
einem Jahr der Reisevorbereitung flog er zusammen mit einem Arzt und
einem Biologen
nach Kasachstan. Ihr Ziel war es herausfinden, was für eine
Wirkung die Milch
als Arzneimittel hat.
Während ihres
Aufenthalts
trafen
sie sich mit Professoren und Ärzten und hatten einen Termin
beim
Gesundheitsministerium in Almata, einer großen Stadt in
Kasachstan. Das
Ergebnis war überraschend. „Es hat sich
herausgestellt, dass sie die Kamelmilch
gegen alles nehmen. Es gab Krankenhäuser, die nur mit
Kamelmilch therapierten.“
Um noch mehr über diese heilenden Eigenschaften zu erfahren,
ließen Breitling
und seine Mitreisenden vier Doktorarbeiten vom Russischen ins Deutsche
übersetzen, die die Wirkung von Kamelmilch behandelten.
Während es in vielen
arabischen
Ländern auch heute noch üblich ist, zum Beispiel
Kindern Kamelmilch zur
Stärkung ihres Immunsystems zu geben, ist sie in westlichen
Ländern noch so gut
wie unbekannt. Um das zu ändern, ermutigt etwa die
Welternährungsorganisation
FAO Investoren und Geberländer dazu, die Kamelwirtschaft zu
unterstützen. Sie
vermutet, dass es nicht nur in islamischen Ländern, sondern
auch in Europa,
Afrika und Amerika eine enorme Nachfrage geben könne. Anthony
Bennett, Milchfachmann
der FAO, schätzt
das weltweite Marktpotential der Kamelmilch auf
mindestens 200
Millionen Kunden in der arabischen Welt und auf mehrere zehn Millionen
in
Europa, Amerika und Afrika.
Der Grund für das
enorme
Potential,
das in der Kamelmilch gesehen wird, ist ihre Zusammensetzung. Sie
enthält viel
Vitamin B und C und hat zehnmal mehr Eisen als Kuhmilch. Einzelne
Experten
führen die in der Milch enthaltenen Antikörper
als Vorteil für die
Ernährung an. Den aber vielleicht größten
Vorteil hat die Kamelmilch für
Allergiker. Sie enthält nämlich kein
Beta-Lactoglobulin und eine andere Form
des Beta-Kaseins. Damit fehlen ihr zwei Bestandteile der Kuhmilch, die
Allergien auslösen können.
Israelische
Forscher veröffentlichten zu diesem Thema im Dezember 2005
einen Bericht im
Israel Medical Association Journal. Sie testeten die Wirkung von
Kamelmilch bei
acht Kindern mit schweren Nahrungsmittel-Allergien; allen gemeinsam war
auch
eine Allergie gegen Milch. Die Kinder zeigten Symptome wie Durchfall
und
Erbrechen nach dem Essen. Herkömmliche Behandlungsmethoden
hatten bisher fehlgeschlagen.
Die Patienten im Alter von vier Monaten bis zehn Jahren bekamen zwei
Wochen
lang nur Kamelmilch als Ersatz für sämtliche andere
Nahrungsmittel. Im
Anschluss wählten die Eltern nach und nach
zusätzliche Nahrungsmittel aus.
Innerhalb von 24 Stunden nach Beginn der Kur hätten die Kinder
weniger Symptome
aufgewiesen und innerhalb von vier Tagen seien alle Symptome
verschwunden
gewesen, berichten die Forscher. Bei allen acht Fällen
führte die Therapie zu
einer raschen Verbesserung der Gesundheit der Kinder, später
gefolgt von der
Fähigkeit, andere Nahrungsmittel zu verdauen. Dieser
Ergebnisse werden zum
einen den fehlenden Allergenen zugeschrieben, zum anderen den in der
Kamelmilch
enthaltenen Antikörpern, die denen der menschlichen
Muttermilch ähneln.
Schwierigkeiten
bei der Vermarktung
Untersuchungen,
die mit Kamelmilch gemacht werden, beziehen sich fast
ausschließlich auf Tests
mit roher Milch. Allerdings ist es in allen westlichen Ländern
seit Ende des
zweiten Weltkrieges nur noch in Ausnahmefällen und unter
Einhaltung strenger
hygienischer Auflagen erlaubt, unbehandelte Rohmilch in den Handel zu
bringen. Um
die Milch zu vertreiben, muss sie also im Normalfall
wärmebehandelt sein. Das
gilt auch für Kamelmilch.
Durch
die
Erhitzung (Pasteurisierung) werden allerdings alle Antikörper
und andere
Schutzeiweiße zerstört, wodurch die Milch ihre
gesundheitsfördernde Wirkung
verliert. Dieses Problem beschäftigt auch Wilhelm Breitling.
Er ist dabei,
verschiedene Pasteurisierungs-Verfahren testen zu lassen, um
herauszufinden,
wie viele Wirkstoffe der Milch tatsächlich verloren gehen.
Wilhelm Breitling,
Kamelfarmer:
Auf der Suche nach der richtigen Vermarktung. Foto: Luz
Neben der
Pasteurisierung beschäftigt Forscher auch die Suche nach
anderen Methoden, um die Milch
haltbar zu machen. „Es lohnt nicht, die Kamelmilch nur direkt
vom Hof zu verkaufen,
also muss man Möglichkeiten schaffen, sie haltbar zu
machen“, sagt Breitling. Zwar
ist es möglich, rohe Milch einzufrieren, doch nach drei
Monaten wird sie ungenießbar,
weil sich die Eiweiße zersetzen.
Schweizer
Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule
Zürich (ETH) und der Forschungsanstalt
Agroscope Liebefeld-Posieux (ALP) forschen gemeinsam nach einer
Lösung für
dieses Problem. Sie testeten zwei verschiedene Verfahren, mit denen die
Milch
ultrahocherhitzt wurde. Mit einem direkten UHT-Verfahren, bei dem die
Milch wie
in einer Pfanne erhitzt wird, wurde sie ungenießbar. Ein
schonenderes
Verfahren, bei dem die Milch durch Dampf für zwei Sekunden auf
150 Grad erhitzt
wurde, hatte dagegen ein gut schmeckendes Produkt zum Ergebnis.
Während ultrahocherhitzte
Kuhmilch jedoch über Monate stabil bleiben kann, muss die
schonend behandelte
Kamelmilch kühl gelagert werden, um wenigstens fünf
Wochen stabil zu bleiben.
Bei einer Raumtemperatur von 25 Grad wird sie rasch sauer.
Produkte aus
Kamelmilch
Obwohl
die Milch nicht lange
haltbar ist, gibt es schon Produkte aus Kamelmilch zu kaufen. Forschern
der ETH
Zürich ist es gelungen, ein Lab aus einem Enzym des Kamels zu
entwickeln, das
die Herstellung von Käse aus Kamelmilch ermöglicht.
Bisher galt die Herstellung
von Käse als nicht möglich, weil der Kamelmilch im
Gegensatz zur Kuhmilch
bestimmte Gerinnungsfaktoren fehlen. Auch Eis- und Joghurtkreationen
gibt es
bereits. Aber alles nur im kleinen Rahmen.
Dabei könnten
haltbare
Produkte aus
Kamelmilch helfen, den Hunger in armen Ländern zu
bekämpfen, in denen Tag für
Tag ein Meer von Milch ungenützt bleibt. Da sich Kamele in
sehr trockenen
Gebieten halten lassen, könnte die Milch als Nahrungsmittel
und Erwerbsquelle
insbesondere der ländlichen Bevölkerung in
abgelegenen Gegenden zugute kommen.
Foto: Luz
Da sich der Vertrieb von roher
Kamelmilch in Deutschland bisher noch nicht realisieren lässt,
hat sich auch
Wilhelm Breitling etwas einfallen lassen. 2006 kam er auf die Idee, die
rohe Milch
zu einer Hautcreme verarbeiten zu lassen, die zu 30 Prozent aus reiner
Kamelmilch
besteht. Laut Breitling wirkt die Creme unter anderem bei
Neurodermitis,
Schuppenflechte und Akne. Sie könne Hautkrankheiten zwar nicht
heilen, aber immerhin
vom Juckreiz befreien. Wenn es darum geht, gute Argumente für
die Haltung von
Kamelen in Deutschland zu finden, gehen dem Schwarzwald-Bauern eben nie
die Ideen aus.
Mehr Infos rund ums Kamel:
Die Seite
von Wilhelm Breitlings Kamelhof im Schwarzwald:
www.kamel.de
Forschungsbericht:
„Kamelmilch gegen Nahrungsmittel-Allergien bei
Kindern“:
www.kamelhof.de/downloads/kamelmilchgegenallergien.pdf
Interessante
Infos rund ums Kamel:
www.kamel-handel.de
Während ihres Aufenthalts trafen sie sich mit Professoren und Ärzten und hatten einen Termin beim Gesundheitsministerium in Almata, einer großen Stadt in Kasachstan. Das Ergebnis war überraschend. „Es hat sich herausgestellt, dass sie die Kamelmilch gegen alles nehmen. Es gab Krankenhäuser, die nur mit Kamelmilch therapierten.“ Um noch mehr über diese heilenden Eigenschaften zu erfahren, ließen Breitling und seine Mitreisenden vier Doktorarbeiten vom Russischen ins Deutsche übersetzen, die die Wirkung von Kamelmilch behandelten.
Während es in vielen arabischen Ländern auch heute noch üblich ist, zum Beispiel Kindern Kamelmilch zur Stärkung ihres Immunsystems zu geben, ist sie in westlichen Ländern noch so gut wie unbekannt. Um das zu ändern, ermutigt etwa die Welternährungsorganisation FAO Investoren und Geberländer dazu, die Kamelwirtschaft zu unterstützen. Sie vermutet, dass es nicht nur in islamischen Ländern, sondern auch in Europa, Afrika und Amerika eine enorme Nachfrage geben könne. Anthony Bennett, Milchfachmann der FAO, schätzt das weltweite Marktpotential der Kamelmilch auf mindestens 200 Millionen Kunden in der arabischen Welt und auf mehrere zehn Millionen in Europa, Amerika und Afrika.
Der Grund für das enorme Potential, das in der Kamelmilch gesehen wird, ist ihre Zusammensetzung. Sie enthält viel Vitamin B und C und hat zehnmal mehr Eisen als Kuhmilch. Einzelne Experten führen die in der Milch enthaltenen Antikörper als Vorteil für die Ernährung an. Den aber vielleicht größten Vorteil hat die Kamelmilch für Allergiker. Sie enthält nämlich kein Beta-Lactoglobulin und eine andere Form des Beta-Kaseins. Damit fehlen ihr zwei Bestandteile der Kuhmilch, die Allergien auslösen können.
Israelische Forscher veröffentlichten zu diesem Thema im Dezember 2005 einen Bericht im Israel Medical Association Journal. Sie testeten die Wirkung von Kamelmilch bei acht Kindern mit schweren Nahrungsmittel-Allergien; allen gemeinsam war auch eine Allergie gegen Milch. Die Kinder zeigten Symptome wie Durchfall und Erbrechen nach dem Essen. Herkömmliche Behandlungsmethoden hatten bisher fehlgeschlagen. Die Patienten im Alter von vier Monaten bis zehn Jahren bekamen zwei Wochen lang nur Kamelmilch als Ersatz für sämtliche andere Nahrungsmittel. Im Anschluss wählten die Eltern nach und nach zusätzliche Nahrungsmittel aus. Innerhalb von 24 Stunden nach Beginn der Kur hätten die Kinder weniger Symptome aufgewiesen und innerhalb von vier Tagen seien alle Symptome verschwunden gewesen, berichten die Forscher. Bei allen acht Fällen führte die Therapie zu einer raschen Verbesserung der Gesundheit der Kinder, später gefolgt von der Fähigkeit, andere Nahrungsmittel zu verdauen. Dieser Ergebnisse werden zum einen den fehlenden Allergenen zugeschrieben, zum anderen den in der Kamelmilch enthaltenen Antikörpern, die denen der menschlichen Muttermilch ähneln.
Durch die Erhitzung (Pasteurisierung) werden allerdings alle Antikörper und andere Schutzeiweiße zerstört, wodurch die Milch ihre gesundheitsfördernde Wirkung verliert. Dieses Problem beschäftigt auch Wilhelm Breitling. Er ist dabei, verschiedene Pasteurisierungs-Verfahren testen zu lassen, um herauszufinden, wie viele Wirkstoffe der Milch tatsächlich verloren gehen.
Wilhelm Breitling,
Kamelfarmer:
Auf der Suche nach der richtigen Vermarktung. Foto: Luz
Schweizer Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) und der Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux (ALP) forschen gemeinsam nach einer Lösung für dieses Problem. Sie testeten zwei verschiedene Verfahren, mit denen die Milch ultrahocherhitzt wurde. Mit einem direkten UHT-Verfahren, bei dem die Milch wie in einer Pfanne erhitzt wird, wurde sie ungenießbar. Ein schonenderes Verfahren, bei dem die Milch durch Dampf für zwei Sekunden auf 150 Grad erhitzt wurde, hatte dagegen ein gut schmeckendes Produkt zum Ergebnis. Während ultrahocherhitzte Kuhmilch jedoch über Monate stabil bleiben kann, muss die schonend behandelte Kamelmilch kühl gelagert werden, um wenigstens fünf Wochen stabil zu bleiben. Bei einer Raumtemperatur von 25 Grad wird sie rasch sauer.
Dabei könnten haltbare Produkte aus Kamelmilch helfen, den Hunger in armen Ländern zu bekämpfen, in denen Tag für Tag ein Meer von Milch ungenützt bleibt. Da sich Kamele in sehr trockenen Gebieten halten lassen, könnte die Milch als Nahrungsmittel und Erwerbsquelle insbesondere der ländlichen Bevölkerung in abgelegenen Gegenden zugute kommen.