Von Liebestötern und heißen Höschen

von Lisa Peter

Eng anliegende Retroshorts über einem knackigen Po, gepaart mit einem Bruno-Banani-Muscleshirt, verführerische Dessous, die mehr preisgeben, als sie verhüllen, spitzenbesetzte Hemdchen, hauchzarte Negligés mit Straußenfeder-Besatz wecken Begehrlichkeiten bei beiderlei Geschlecht. Oder doch nicht? Was trägt man/frau wirklich „darunter“ und hat sich da im letzten Jahrhundert etwas grundlegend verändert? Eine Ausstellung in Ratingen gewährt Einblicke.

Unterwäsche
Unterwäsche der 50er Jahre.
Foto: J. Hoffmann, RIM / LVR

Deutsche Männer achten wenig auf Erotik – wenn es ihnen an die eigene Wäsche geht. Liebestöter, im Fachjargon der Textilwirtschaft mit so treffenden Typenbezeichnungen wie Walter und Karl-Heinz versehen, finden sich nicht nur seit Omas Zeiten in fast der Hälfte aller Schubladen, sie werden auch immer noch gekauft und getragen. Das wissen viele Frauen aus leidvoller Erfahrung, dafür hätte es eine Studie der Branchenzeitschrift Textilwirtschaft wahrlich nicht gebraucht.

Stringtanga
Stringtanga für Herren, 2006.
Foto: J. Hoffmann, RIM / LVR
Aber halt! Wie sieht es denn in den Kommoden der deutschen Durchschnittsfrau aus? überquellende Schatzkammern voller Spitzen-BHs, Tangas, bestickter Seidenhemdchen? Fehlanzeige! Frau Mustermann trägt das praktisch-bequeme Slip/BH-Set Typ Brigitte, das Miederhöschen Erika und das Unschuldshemdchen Karin. Erst auf Platz vier der Beliebtheitsskala befindet sich mit dem Spitzen-BH/Slip Set Christine eine Kombination, die auch Männerherzen höher schlagen lassen könnte.

Angesichts dieser Ergebnisse fragt man sich schon, ob die Erotik in deutschen Schlafzimmern noch zu retten ist. Die Studie erklärt das Resultat damit, dass Bequemlichkeit eine große Rolle spielt bei der Wahl der Unterwäsche. Dabei geht es den Kunden allerdings nicht nur um die Funktionalität der Textilien, sondern der Hang zur langweiligen Wäsche ist auch ein Ausdruck konservativen Kaufverhaltens: „Einmal Karl-Heinz, immer Karl-Heinz.“ Selbst Frauen, die ihre Männer lieber in zeitgemäßer Mode sehen wollen, greifen eher zum Altbekannten als zur Neuheit.


Unterwäsche
Blick auf die Wäscheleine eines deutschen Haushalts. Foto: Peter

Welche Schlüsse auf unsere Gesellschaft lässt das zu? Sind wir Deutschen verklemmter, als wir es wahrhaben wollen? Oder einfach nur nachlässiger gekleidet, weil das „Darunter“ sich schließlich nicht jedem enthüllt?

Diesen Fragen widmet sich eine Ausstellung zum Thema „Reiz und Scham“ im Rheinischen Industriemuseum. Anhand von etwa 250 Exponaten zeigt die Schau, wie sich Unterwäsche und auch damit verbundene Moralvorstellungen in den letzten 150 Jahren gewandelt haben: Die Menge und die Art der Wäsche unterlagen ebenso gesellschaftlichen Normen wie die Oberbekleidung. Wer sich „unschicklich“ kleidete, geriet schnell ins gesellschaftliche Abseits.

Aber zunächst trug man gar keine „richtige“ Unterwäsche, sondern nur ein langes Hemd. Erst mit der Entwicklung des Bürgertums und seiner strikten Moralvorstellungen kam die Mode auf, Berge von Stoff und Formelemente, die uns heutzutage absurd anmuten, unter dem eigentlichen Oberkleid anzuhäufen. „Ganz praktisch gesehen, ist das Unterkleid ein Schutz nicht nur vor der Kälte des Winters, sondern vor allem die Schicht zwischen dem nicht immer sauberen Körper und der meist nicht waschbaren und wertvolleren Oberbekleidung“, so Christiane Syré vom Rheinischen Industriemuseum.

Zur Unterwäsche im modernen Verständnis wurden die Unterkleider erst nach der Verbreitung der so genannten Weißwäsche zur Mitte des 19. Jahrhunderts: „Um 1850 herum verbinden sich aufkommende bürgerliche Tugenden wie Reinlichkeit und Sittlichkeit mit dem Tragen von Unterwäsche, die der Idee von Reinheit entsprechend auch weiß sein soll. Auf einmal ist das ‚Darunter’ ein gesellschaftliches Muss, auch wenn darüber natürlich auf keinen Fall gesprochen wird“, erklärt die Kunsthistorikerin weiter.

Der Kontakt mit dem nackten Körper und damit auch mit Sexualität machte die Textilien zum sprachlichen Tabu der bürgerlichen Gesellschaft. Selbst das Wort „Unterwäsche“ wurde aus dem Sprachgebrauch verbannt, an seine Stelle traten „die Unaussprechlichen“. Aber Korsetts, Mieder und seidene Unterröcke waren beileibe nicht nur Anlass zur Scham, der Doppelcharakter von Ver- und Enthüllung übte auch damals seinen Reiz aus. Die Röcke rascheln verheißungsvoll, die schweren Stoffe machen Platz für kunstvolle Negligés.

Bild aus den 20ern
1920er Jahre.
Foto: W. Nekes
In Ratingen, einem der insgesamt vier Schauplätze des Rheinischen Industriemuseums, wird die Erotik der Unterwäsche rehabilitiert und zur Schau gestellt. Die in der Ausstellung gezeigten Dessous reichen von wahrhaft atemberaubenden Korsetts des 19. Jahrhunderts bis hin zu den luftigen Kunstseide-Hemdchen der 1920er Jahre, darüber hinaus geht es aber auch um Reiz- und Gebrauchswäsche aus neuerer Zeit.

Einen gewissen Mangel an älterer Gebrauchswäsche erklärt Frau Syré durch die Weiterverwendung abgetragener Baumwollstücke: „Vor allem die Männerwäsche endete häufig als Putztuch, da sie nicht aufhebenswert erschien.“ So ist lediglich anhand von Hersteller-Katalogen nachzuvollziehen, wie Mann damals „drunter“ aussah. Allzuweit entfernt von Karl-Heinz auf jeden Fall nicht.

Korsett
200 Jahre Korsetts.
Foto: J. Hoffmann, RIM / LVR
Auch die Frauen-Wäsche war bis Mitte der 1980er Jahre Bestandteil der Intimsphäre und somit ausschließlich dem jeweiligen Partner zur Anschauung vorbehalten. Dennoch war sie nicht immer Privatsache, der Kampf gegen einengende Korsetts war eng verbunden mit der sogenannten ersten Feminismus-Welle zum Ende des 19. Jahrhunderts und selbst der bereits viel bequemere BH geriet in den 1970ern in der Wahrnehmung der Feministinnen zum Unterdrückungswerkzeug der männlich dominierten Welt.

Zu dieser Ablehnung aus politischen Gründen gesellten sich auch immer wieder gesundheitliche Bedenken: Was die Schnürbrust des 19. Jahrhunderts allen inneren Organen an Schaden zufügte, ist heute als Konsequenz einer bloßen Modeerscheinung undenkbar, aber schlecht sitzende BHs und Stringtangas, die weder wärmen noch heiß genug gewaschen werden können, um Keime abzutöten, verursachen auch heute noch Gesundheitsprobleme. „Die Unterwäsche für Frauen mag heute bequemer sein, als sie es noch vor hundert Jahren war, aber gesundheitlich völlig bedenkenlos ist sie nach wie vor nicht“, warnt Frau Syré im Zusammenhang mit den Mini-Höschen. Viele Frauen leiden darüber hinaus an Kopf- und Nackenschmerzen, weil die Träger ihrer BHs falsch eingestellt sind oder sie schlicht das falsche Modell für ihren Körperbau tragen.

Wäscheset
Transparentes Wäscheset, Synthetik, 1970er Jahre.
Foto: J. Hoffmann, RIM / LVR
Selbst wenn nach wie vor die Superwäsche noch nicht entwickelt ist, die wärmt, schützt, stützt, sauber bleibt und dabei auch noch richtig gut aussieht, ist seit den 80er Jahren jedoch ein wirklich grundlegender Wandel im Umgang mit Wäsche zu beobachten. Dieser bezieht sich auf die Tragegewohnheiten, beziehungsweise die Regeln, wie viel zu sehen sein darf von der Wäsche: Die „Unter“wäsche entwickelt sich zum in der öffentlichkeit tragbaren Kleidungsstück, der Unterschied zwischen Unterhemd und normalem Shirt ist kaum mehr zu erkennen, edle BHs dürfen auch mal unter der Bluse hervorlugen oder gleich ganz durchschimmern.

In bestimmten sozialen Kontexten gehört es sogar dazu, die Umwelt an der bevorzugten Wäsche-Marke teilhaben zu lassen, man denke nur an die Calvin Klein-Bündchen, die zum Statussymbol avancierten, oder die bis unter das Gesäß herabgezogenen baggy pants der coolen Jungs, die einen freien Blick auf Boxer-Shorts ermöglichen.

Und doch gilt diese Freuzügigkeit anscheinend nicht für die Mehrheit der Gesellschaft. Auch im 21. Jahrhundert bleibt Otto Normal weiterhin bei Karl-Heinz, Elke Mustermann bei Brigitte, denn: „Einmal Karl-Heinz, immer Karl-Heinz.“ Pfeil



Reiz und Scham

Die Ausstellung ist noch bis zum 20. Mai 2007 zu sehen:

Rheinisches Industriemuseum
Textilfabrik Cromford
Cromforder Allee 24
40878 Ratingen
www.rim.lvr.de

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