Rezension

Familie im Wandel

von Gesa Graser

Berufstätigkeit der Eltern und das Dasein für den Nachwuchs ist ein Spagat, der sich für gewöhnlich nicht dauerhaft vollziehen lässt. Vielen Paaren bleibt aber nichts anderes übrig als diesen Spagat zu versuchen ... In die Debatte um die richtige Familienpolitik in Deutschland mischt sich eine neue Stimme ein: Iris Radisch, Literaturredakteurin und dreifache Mutter, beleuchtet das Dilemma berufstätiger Eltern in einem aktuellen Buch.

Kritisch, aber doch oft humoresk formuliert beschreibt Iris Radisch in „Die Schule der Frauen. Wie wir die Familie neu erfinden“ den Wandel in den Bedürfnissen und der Lebensgestaltung, den Wandel des Miteinanders von Mann und Frau, den Wandel der Rollen von Vater und Mutter innerhalb der Familie. Radisch begibt sich auf die Suche nach einem neuen Miteinander, das eine glückliche Beziehung, Kinder und Karriere vereinbaren lässt.

Buch
Das Buch
Foto: Graser
Seitdem es die Pille gibt, sind Sex und seine natürlichen Folgen entkoppelt. Wer Kinder haben will, muss heutzutage meist erst die Pille absetzen oder die Spirale entfernen lassen, auf Verhütung verzichten. Knackig analysiert wird in Radischs Buch das Aufwachsen der Generation von Frauen, die heute für den Geburtenrückgang in Deutschland verantwortlich gemacht wird.

Gründe für die Kinderarmut der Deutschen findet die Autorin unter anderem in der finanziellen Unselbständigkeit im gebärfähigen Alter, wenn viele Frauen noch mitten im Studium stecken, und den fehlenden Vorbildern. Aber auch die Brüchigkeit von Beziehungen spielt eine Rolle. Kann oder will man es heutzutage als Frau noch wagen, auf eine Ausbildung oder Karriere zugunsten von Kindern zu verzichten, wenn man sich dabei der Gefahr bewusst sein muss, dass der Kindsvater Mutter und Kind vielleicht schon bald für eine jüngere Frau verlassen wird? Und noch etwas spielt eine Rolle: In der heutigen Wettbewerbsgesellschaft geht die Angst um, dass sich Kinder im allgemeinen Wettrennen um materielle Vorteile als Hemmschuh auswirken könnten.

Auf den 187 Seiten ihres Buches gewährt Radisch dem Leser immer wieder Einblicke in ihre eigene Familie, ihr eigenes Leben, das in den Kontext des Buches eingebunden wird. So wird anhand ihrer Familie exemplarisch verdeutlicht, dass Frauen im Laufe der Zeit gelernt haben, sich im Wesentlichen auf sich selbst zu verlassen. Das Konzept von Frau und Kindern, die sich auf den treusorgenden Ernährer der Familie konzentrieren, ist mit dem letzten Jahrtausend ausgestorben, musste aussterben, und das nicht nur in der Familie Radischs, da es vielmals den treusorgenden Ernährer nicht mehr an der Seite der Mutter gibt oder ein einziges Gehalt für die Familie einfach nicht ausreicht.

Die steigende Zahl von Scheidungen und Single-Haushalten geht einher mit dem Geburtenrückgang. So wird die Nachwuchslosigkeit deutscher Akademiker direkt korreliert mit dem Unvermögen, Liebe zu erhalten. Und es gibt Hinweise, dass selbst viele kluge Menschen nicht mit der Geschlechterrollen-Verteilung klarkommen: Die meisten Männer heutzutage bevorzugen sozial unterlegene Partnerinnen, wohingegen Frauen Männer mit ähnlichem Bildungsniveau suchen. So sucht man aneinander vorbei.

Und so ist das alteingesessene Bild der patriarchalischen Familie nicht aufrechtzuerhalten. Wozu auch? Ein neues Modell konnte sich bislang jedoch nicht durchsetzen. Die Familie muss also dringend für dieses Jahrhundert neu erfunden werden, um bestehen zu können.

Die dreifache Mutter Radisch bringt in ihrem Buch dem Leser näher, warum man überhaupt Kinder haben soll, wenn es aus objektiver Sicht keinen erklärbaren Grund mehr dafür gibt, dass es sinnvoll ist, Kinder zu bekommen. Das Elternglück, dessen Existenz für viele Paare außer Frage steht, lässt sich kinderlosen Menschen zum Teil nur schwer vermitteln. Kinder sind nach Radisch „das mit allen Fasern anwesende Leben. Jedenfalls so anwesend, dass sich jede Frage nach dem Zweck dieser totalen Anwesenheit erübrigt. Das schafft kein Fünf-Gänge-Menü, kein Urlaub im offenen Roadster, keine Aromatherapie auf Bali, kein Erfolg als irgendwas, kein gar nichts: Diese überwältigung durch eine unhinterfragbare, nicht mehr abzustellende Präsenz, die das Kind ist.“

Neben stolzen und glücklichen Elternaugen beleuchtet Radisch aber auch die Schwierigkeiten, die oft aus finanziellen Gründen notwendige doppelte Berufstätigkeit der Eltern mit einer ausgiebigen Betreuung der Kinder zu vereinbaren. Zeit ist im heutigen Familienleben zu einem kostbaren Gut geworden. Die Prioritäten welche Aufgaben eine Mutter oder ein Vater im Laufe des Tages erledigen muss haben sich verschoben. Im Vergleich zum Alltag ihrer eigenen Hausfrauenmutter muss die berufstätige Radisch feststellen: „Das Aufräumen fällt leider aus, die Wäsche wird nur zur Not und im Einzelfall gebügelt, von komplizierten Hochfrisuren kann keine Rede mehr sein, Spül- und Waschmaschine waschen bekanntlich von allein, mittags essen wir alle auswärts, ...“

Die meisten Zusammenhänge zwischen heutiger Lebensweise und Kinderlosigkeit, die Radisch aufführt, werden dem Leser nicht neu sein. Spätestens mit Verlassen des heilen Elternhauses, sofern es das überhaupt für den Leser gab, und den ersten eigenen Beziehungssorgen und -problemen ist die verklärte Ansicht von einer Partnerschaft, die erst vom Tod geschieden wird, gewichen. Zumeist hat dafür aber schon viel früher der Blicke in die Klatschblätter und das TV-Programm gesorgt, wo vermeintliche Vorbilder aus Politik, Sport und Funk und Fernsehen eher unstetige Partnerschaften vorleben.

In Radischs Buch werden schlagfertig die Zusammenhänge, Hintergründe und Probleme von Geburtenrückrang, weiblicher Berufstätigkeit, Familie und Liebe dargestellt. Eine Anleitung für ein glückliches Leben ist es nicht. Wie zuverlässig eine dauerhaft glückliche Beziehung gelebt werden kann, wie doppelte Berufstätigkeit von Paaren mit hinreichend Zeit für Kinderbetreuung und -erziehung vereinbart werden kann und wie die Geburtenrate wieder steigt, dafür gibt es keine Patentrezepte.

Das hat man auch nicht erwartet bei derart komplexen Zusammenhängen. Allerdings gibt die Autorin in forschem Ton Anstöße, für die Zukunft neue Perspektiven der Liebe, des Zusammenlebens und der Berufstätigkeit zu finden: „Müttern und Vätern muss dringend mehr Kinderzeit gewährt werden: geschenkte Zeit, die in keiner Kalkulation wieder nutzbringend zu Buche schlägt“, fordert Iris Radisch. Damit der Kinderwunsch kein bloßer Wunsch bleiben muss. Pfeil

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Die Autorin
Iris Radisch ist Jahrgang 1959 und Mutter von drei Kindern. Sie studierte bis 1986 in Tübingen und Frankfurt am Main Germanistik, Romanistik und Philosophie. Bekannt wurde sie durch ihre Arbeit als Literaturredakteurin der Wochenzeitung DIE ZEIT und als Mitglieds des Literarischen Quartetts. Nebenberuflich übernahm sie Gastprofessuren im In- und Ausland und arbeitete im Fernsehen nicht nur im Literarischen Quartett des ZDFs, sondern moderierte auch für die ARD, den WDR und VOX. Seit Herbst 2006 moderiert sie den Literaturclub für 3sat und das Schweizer Fernsehen.

Das Buch
Iris Radisch: Die Schule der Frauen. Wie wir die Familie neu erfinden. Deutsche Verlags-Anstalt München, 2007, 187 Seiten. 14,95 Euro.


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