Macht Denken schlank?

von Kristina Abels

Es ist das Organ mit dem höchsten Energieverbrauch: Unser Gehirn. Also müsste angestrengtes Denken doch geradewegs zur Idealfigur führen. Oder doch nicht? Eine Psychologin klärt auf über die genauen Zusammenhänge zwischen Kopf und Bauch.

So sieht es aus, das typische Studentenleben während der Prüfungszeit: Bücherberge, Papierstapel, dazwischen ein angebissener Apfel, eine Tafel Schokolade, ein heißgelaufener Laptop und irgendwo mittendrin die eifrig lernende Studentin. Von morgens bis abends pauken und denken, bis das Hirn heißläuft. Zum Joggen ist keine Zeit. Der gestresste Prüfling frisst sich daher nicht nur Wissen, sondern auch einen Schokoladenbauch an – so meint man zumindest.

Schlankdenken
Können beim Denken die Pfunde purzeln?
Foto: Peter
Tatsächlich ist oft das Gegenteil der Fall: Bei vielen purzeln während des Lernens die Pfunde. Wie kann das sein? Macht angestrengtes Denken etwa schlank? Das wäre es doch: Statt zu hungern und beim Sport dem Wunschgewicht entgegen zu schwitzen, denken wir uns in Zukunft einfach dünner! Immerhin ist das Gehirn das Organ mit dem höchsten Energieverbrauch. Gerade einmal zwei Prozent des Körpergewichts schwer, beansprucht es rund 20 Prozent der gesamten Energie und könnte damit so hell wie eine 25-Watt-Birne glühen.

Das Gehirn kennt keine Pausen

Aus wissenschaftlicher Sicht funktioniert es dennoch nicht. „Durch angestrengtes Denken werden wir nicht dünner“, sagt Ursula Reichwald. Die Diplom-Psychologin ist Dozentin für Klinische und Biologische Psychologie an der Universität Tübingen. Die Erklärung: Das Gehirn verbraucht bei denksportlichen Höchstleistungen kaum mehr Energie als im „Ruhezustand“. Den kennt es eigentlich auch gar nicht. Tatsächlich macht unser Denkorgan niemals eine Pause: „Selbst wenn mal nichts los ist, das Gehirn weiß sich zu helfen. Bei Auftragsflaute denkt es sich eben selbst etwas aus.“ Tagträume oder sogar Fehlwahrnehmungen wie Halluzinationen sind ein Beispiel dafür.

Ständig müssen Sinneseindrücke wie etwa Gerüche oder Berührungen verarbeitet und Verhaltensweisen koordiniert werden – auch im Schlaf. Dass wir nachts ruhig träumen können, ohne aus dem Bett zu fallen, haben wir unserem Gehirn zu verdanken. Für all diese Aufgaben stehen etwa 100 Milliarden Nervenzellen, die Neurone, zur Verfügung. Sie sind durch circa 100 Billionen Synapsen verknüpft, die Information in Form von elektrischen Signalen von einem Neuron zum anderen weiterleiten.

Mit Hilfe bildgebender Verfahren wie der funktionalen Magnetresonanztomographie (fMRT) können Wissenschaftler heute beobachten, wie sich Stoffwechsel und Blutfluss im Gehirn verändern. Die fMRT kann durch Anlegen starker Magnetfelder spezielle Hirnbereiche erkennen, in denen es zu einer Sauerstoffanreicherung kommt. Der Grund dafür ist ein erhöhter Blutfluss an den Stellen, an denen gerade besonders stark gedenkelt wird.

Den größten Teil der Energie – 60 bis 80 Prozent des Körperkraftstoffs – verbraucht dabei die Kommunikation zwischen den Neuronen, die immer stattfindet, wenn das Gehirn eingeschaltet ist: nicht nur beim ernsten Philosophieren und Diskutieren, sondern auch beim Blödeln oder Lachen, sogar beim Schlafen. Weniger als ein Prozent geht für die Verarbeitung von externen Sinneseindrücken drauf; dazu zählt zum Beispiel auch das Lesen von schwierigen Texten.

Bei einem so geringen Mehrverbrauch dauert es vergleichsweise lange, die Tafel Schokolade, die man mit dem dicken Lehrbuch verschlungen hat, durch bloße Gehirnanstrengung zu verbrauchen. Statt zwei bis drei Stunden auf dem Fahrrad zu strampeln, muss man einiges mehr an Durchdenkvermögen zeigen – nach rund zweiunddreißig Stunden wäre die kleine Kalorienbombe (600-700 Kalorien) erst weg! Ergo: Denken ist kein Mittel zum Schlankwerden.

Nur nicht ans Essen denken!

Wer denkt, wird schlank – das könnte allerdings dann stimmen, wenn mit Denken Nachdenken gemeint ist. Jeder Diät geht schließlich die kognitive Entscheidung zum Schlankerwerden voraus – und damit zur aktiven Steuerung der Nahrungsaufnahme. Doch der Schein trügt: Experten warnen davor, ins Essverhalten einzugreifen; denn unser Körper macht das unbewusst ganz von alleine richtig, wenn man ihn dabei nicht stört. „Denken macht nicht schlank, es kann indirekt sogar fett machen!“, stellt Reichwald fest und warnt: „Jeglicher Eingriff in den Nahrungshaushalt ist der erste Schritt zur Fettleibigkeit oder zur Magersucht.“

Ursula Reichwald
Dipl.-Psychologin Ursula Reichwald von der Universität Tübingen. Foto: Privat
Den Kampf gegen den gefürchteten Jojo-Effekt gewinnen nur etwa fünf bis zehn Prozent der Diätwütigen. Die anderen schaukeln sich in einer Art Dauerspirale zwischen Abnehmen und Zunehmen immer weiter in Richtung Fettleibigkeit hoch. Denn sobald der Körper mit weniger Energie auskommen muss als gewohnt, schaltet er auf Sparflamme um: Die Nahrung, die noch hereinkommt, wird besonders effektiv verarbeitet– ein Überlebenswichtiger Mechanismus in Zeiten von tatsächlicher Nahrungsknappheit. Diese Strategie wird so schnell nicht aufgegeben, auch wenn es wieder genug zu essen gibt.

Eine aktuelle Studie aus den USA zeigt eindeutig, dass man am besten die Finger von seinem Nahrungshaushalt lassen sollte: Denn selbst gesunde, normalgewichtige Menschen können schnell in den beschriebenen Sparzyklus rutschen: Die Versuchspersonen bekamen 400 Kalorien weniger als die Kontrollgruppe. Ein Hungergefühl entsteht dabei nicht, und trotzdem: Schon am dritten Tag kann das Gehirn nicht anders als sich mit dem Essen zu beschäftigen, das ihm vorenthalten wurde: „Man träumt von dampfenden Kartoffeln und heißen Würstchen“, beschreibt Reichwald die Reaktion des Denkorgans.

Automatisch geht´s am besten

Diesen Effekt kann man auch schon bei Kindern beobachten. Vor allem Mädchen beschäftigen sich mit ihrem Gewicht – und nehmen zu! Denn unser Gehirn arbeitet anders als wir. Wenn ich mir zum Beispiel vornehme, heute Abend keine Schokolade zu essen, dann ist alles, was mein Gehirn mithört: „Schokolade“. Der inhaltliche Zusammenhang ist meinen Zellen im Kopf egal. Ihnen genügt der Hinweisreiz, um in mir den dringenden Wunsch eben nach Schokolade auszulösen!

Wer schlank bleiben will oder abnehmen möchte, sollte also am liebsten gar nicht denken – zumindest nicht ans Essen. Alle die, die das ohne großes Nachdenken schaffen: zu essen, wenn sie Hunger haben und damit aufzuhören, wenn sie satt sind, die bezeichnet die Wissenschaft als automatisierte Esser. Leute wie sie bleiben automatisch schlank. Die so genannten kontrollierten Esser müssen dafür aktiv mitdenken und sich ständig am Riemen reißen.

Wenn nun aber Denken nicht dünner macht, muss man sich anders behelfen. Das Angebot ist riesig und unübersichtlich. Dubiose Versprechungen wie „Per Mausklick zum Wunschgewicht – Abnehmen im Internet“ vermitteln den Eindruck, man könnte per Knopfdruck Kilos verlieren. Kaum seriöser ist der neueste Schrei, die Low-Fat-Diät, deren Effektivität noch nicht einmal belegt ist. „Am ehesten bewähren sich noch die Brigitte-Diäten“, sagt Reichwald. Denn dabei geht es um längerfristiges und vor allem frustrationsfreies Abnehmen, nicht um spontane Hungerkuren.

Weitere dubiose Wunderdiäten sind die so genannte Glyx-Diät oder – für die Fans von saftigem Fleisch – die Low-Carb-Diät. Nach dem Motto Fleisch satt! sind Fett und Eiweiß in rauen Mengen erlaubt, Kohlenhydrate verboten. Eine Fehlernährung inklusive unangenehmer Folgen wie Übellaunigkeit oder sogar Gicht ist vorprogrammiert.

Bei Formula-Diäten gibt es statt einer richtigen Mahlzeit einen grauen Schlürftrunk – eine eintönige Angelegenheit, bei der man noch nicht einmal lernt, was gesunde Ernährung bedeutet. Und genau das ist ja eigentlich der Kern des Ganzen! Die beliebte Friss-die-Hälfte-Methode führt also auch nicht zum Ziel. Die Hälfte vom Falschen bleibt immer noch falsch.

Schlacken gibt es gar nicht

Und Fasten? Das einzige, was man dabei gewinnt, sind vielleicht klare Gedanken und die Einsicht, dass nur gesunde Ernährung dauerhaft zum Erfolg führen kann! Beim radikalen Nichtsessen wird nämlich vor allem Muskelmasse, nicht Fett abgebaut. Und vom Entschlacken kann keine Rede sein: „Schlacken gibt es überhaupt nicht! Im Körper wird nichts abgelagert“, erklärt Reichwald, die vor ihrem Psychologiestudium auch noch eine Krankenpflege- und Physiologie-Ausbildung gemacht hat und heute neben Lehre und Forschung Expertisen für Versicherer und Krankenkassen schreibt.

Die Psychologin teilt ihre Einstellung mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Denn auch die hält nichts vom Schlackenmärchen: Die Endprodukte des Stoffwechsels werden über Niere, Darm, Lunge oder Haut ausgeschieden. Im Körper bleibt nichts.

Die einzige Ausnahme ist Hasch im Hirn: THC, der Wirkstoff von Cannabis, lagert sich in den Fettzellen ab. Aber THC lässt sich kaum durchs Fasten aus dem Körper schwemmen.

Das Schlankwerden ist im wahrsten Sinne des Wortes keine leichte Angelegenheit. Erschwerend kommt bei den Heerscharen an Molligen hinzu, dass zu 50 bis 60 Prozent die Genetik Schuld an den nimmersatten Fettzellen ist. Glücklich kann sich derjenige schätzen, der schlanke Erzeuger hat.

Aber zu schlank sollten sie auch wieder nicht sein! Denn dann kann es ebenso gut passieren, dass bereits vor der Geburt der Weg zur Adipositas geebnet wird: Bei fetalem Nahrungsmangel, der auftritt, wenn die werdende Mutter sich nicht ausgewogen ernährt oder ganz allgemein zu wenig auf den Rippen hat, lernt der neue Organismus besonders effektives Verarbeiten der kargen Nahrung. Ist das Kind einmal auf der Welt, neigt es aufgrund seines hoch funktionierenden Sparmechanismus’ zur Fettleibigkeit.

Die Schreibtischtäter

Dennoch: Wenn es nicht das Denken ist, das schlank macht, wie lässt sich erklären, dass Akademiker in der Regel schlanker sind als weniger qualifizierte Personenkreise? Tatsächlich geht das Körpergewicht nicht nur aufs Konto der erblichen Veranlagung, sondern hängt auch von sozialer Schicht und Lebensstil ab. Der Druck aus dem Umfeld tut sein Übriges.

Zurück zum Studentenschreibtisch: Warum purzeln hier nicht nur die Gedanken, sondern bei einigen auch die Pfunde, und das ganz ohne Sport? Das Denken führt nicht zu einer schlankeren Figur. Angst und Anspannung sorgen nur für einen etwas erhöhten Grundumsatz.

Die Erklärung lautet schlicht: Manche prüfungsgestresste Studentin vergisst vor lauter Lernen das Essen. Ein Glück, dass der Körper auch hier ganz von allein für einen Ausgleich sorgt und nach den vielen Prüfungen wieder zunimmt! Pfeil



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